Der Fokus in den eigenen vier Wänden
Jedes Mal, wenn ich einen Raum in meiner Wohnung betrete, spricht er mit mir! Nein, ich höre zurzeit noch keine Stimmen! Neben der To-do-Liste, für notwendige Erledigungen, gibt es auch die täglichen Dinge, die getan werden sollten und die Erledigungen, die schon länger anstehen, die gar nicht auf einer gängigen To-do-Liste zu finden sind. Zumindest nicht auf meiner. Jeder Raum ist also fortwährend so höflich, mich über diese ausstehenden Aufgaben kontinuierlich zu informieren: „Ich bin dein Teppich, bitte staubsauge mich!“
Schon als Schülerin habe ich, bevor ich für eine Klassenarbeit lernen konnte, erst einmal mein Teenagerchaos beseitigen müssen oder bin gleich an den Küchentisch gegangen, falls fürs Aufräumen keine Zeit mehr blieb. Ein leer geräumter Schreibtisch oder ein geordnetes Zimmer, aber auch ein leeres Heft, sogar einfach ein leeres Blatt Papier waren immer meine beste Basis für den ersten Schritt, also für den richtigen Fokus, mich einer Sache anzunehmen.
Heute fällt es mir immer noch gleichermaßen schwer, mich mit meinem kleinen Sohn entspannt und fokussiert zum Spielen im Kinderzimmer, Wohnzimmer oder wo auch immer einzufinden, wenn der Raum noch die ein oder andere Ansprache für mich bereithält. Wäsche, die gefaltet werden möchte, Post, die noch gehandhabt werden muss, aber eben auch Reparaturarbeiten sowie schlicht Unordnung. Außerdem ist noch zu erwähnen, dass auch der gut verstaute oder reingestopfte Kram hinter den Schranktüren die Fähigkeit hat, uns zu adressieren, gleich einem staubigen Regalbrett!
Die Flucht auf den nächsten Spielplatz, in den Urlaub oder ein Nachmittag in der Natur ist zwar in diesem genannten Fall immer eine fantastische Lösung, aber eben auch kein Patentrezept und verändert langfristig leider die grundlegende Optimierungsanforderung nicht.
Wie Minimalismus hilft sich Zuhause besser zu fokussieren
Woran liegt es also, dass der Geist bei manchen im eigenen Zuhause kaum zur Ruhe findet, um im hier und jetzt zu sein, und sich immer noch getrieben fühlt, obwohl doch jetzt absehbar die nächste halbe Stunde kein Säbelzahntiger, um die Ecke kommt?
Einer der Gründe ist, dass auch unsere nicht aufgeschriebenen To-do`s mit uns sprechen. Ein anderer, das die Dinge in unserer Wohnung aufgeladen sind mit Erinnerungen, Ablenkungen oder auch einfach nur im Weg sind. Wenn wir einen Raum betreten, scannen wir das was vor uns liegt. Ein völlig zugestopfter und optisch unruhiger Raum wirkt dann auch auf unseren Geist unruhig und stellt Anforderungen. Im Umkehrschluss wirkt ein frisch geputztes, sehr überschaubares Ferienhaus oder Hotelzimmer bis hin zum Zelt – in Größe und Anzahl von Dingen – ohne persönlichen Unrat und ohne unfertige Projekte sehr überschaubar und stellt keine Anforderungen, sondern ermöglicht einem das tiefe Durchatmen, das doch so guttut.
Was also tun? Klar, in ein Zelt ziehen! Wer aber eben den Fokus im eigenen Zuhause wiederfinden möchte und aus der ständigen Rastlosigkeit ausbrechen möchte, sollte dem Minimalismus eine Chance geben. Minimalismus bezogen auf die Anzahl der Dinge und den bewussten Stellenwert, denen wir diesen Dingen zuschreiben sowie die daraus resultierende geringere Betriebsamkeit, hilft dabei sich im Leben auf essenzielleres zu konzentrieren oder es manchmal auch erst wieder zu sehen, wenn der Blick nicht mehr von so viel mehr überlagert ist und Freiraum entstehen kann.
Das brennendste Projekt zuerst!
Wer nicht gleich die ganze Wohnung über Nacht in den Griff bekommen kann, nimmt sich einen Ort bzw. Ansatzpunkt vor. Je nach dem, was am notwendigsten ist. Wer unbedingt seine Steuererklärung machen muss, startet im Büro. Oft hilft schon ein schnelles Aussortieren und Neuordnen wahre Wunder. Alle Dinge, die seit Jahren ungenutzt sind, werden aus dem Raum verbannt – oder am besten auch gleich aussortiert. Je nachdem, wo eben der Fokus liegt, hilft es die überflüssigen Dinge zu beseitigen, um sich auf das wesentliche besser konzentrieren zu können.
Der größte Vorteil ist wohl, dass ihr, um so weniger ihr zu verwalten, pflegen, putzen oder wie auch immer in Stand zu setzen habt, um so mehr Zeit findet, um Zuhause den verloren gegangenen Fokus wieder zu trainieren.
Zwar werden wir den Teppich wohl immer noch staubsaugen müssen, aber vielleicht gibt es ja in Summe einen weniger. Zwar muss das Regal immer noch abgestaubt werden, aber vielleicht steht weniger darauf, was vorher weggeräumt werden muss. Zwar wird die Steuererklärung immer noch anstehen, aber vielleicht gehen uns die Ausreden aus, warum wir sie immer noch vor uns herschieben. Höchstwahrscheinlich kann das bewusste weniger Besitzen und Konsumieren, nicht nur mir, sondern jeden von uns dabei unterstützen, nicht mehr so selbstverständlich und vielleicht manchmal – fast schon stolz – dauerbeschäftigt zu sein.
In diesem Sinne wünsche ich euch einen geschärften Blick, eure Jasmin!